Autor

Dr. med. Timo Pauli, MBA

Veröffentlicht am

27.1.2022

Was ist Neurologie?

Die Neurologie ist ein Fachgebiet der Medizin. Doch was ist das eigentlich genau? Erfahren Sie mehr darüber, was Fachärzte für Neurologie genau machen und welche vielfältigen Krankheiten sie diagnostizieren und behandeln.

Neurologie bedeutet die „Lehre von den Nerven“ - und ist doch so viel mehr: Erkrankungen des Gehirns und des Rückenmarks, Störungen der Nervenbahnen im gesamten Körper und Krankheiten des Muskulatur werden in der Neurologie untersucht und behandelt. Früher galt noch für viele neurologische Erkrankungen der Satz „Da kann man eh nichts machen“. In den letzten Jahren gab es jedoch dramatische Weiterentwicklungen in vielen Bereichen der Neurologie: neue Erkrankungen wurden entdeckt, völlig neue Behandlungsansätze entwickelt und bewährte Therapien weiter verbessert.

Gehirn - Nerven - Muskeln

Gehirn und Rückenmark gelten als das zentrale Nervensystem. Wahrnehmung, Bewegungsabläufe, Regulation der Körperfunktionen, Sprache, Bewusstsein, Denken und Gedächtnis werden durch etwa 86 Milliarden Nervenzellen gesteuert, die in einem komplexen Netzwerk miteinander verknüpft sind. Sämtliche Informationen werden durch Botenstoffe und elektrische Impulse von Nervenzelle zu Nervenzelle weitergeleitet. Aus dem Rückenmark treten Nervenstränge hinaus, die sich in den ganzen Körper verzweigen. Diesen Teil des Nervensystems bezeichnet man als peripheres Nervensystem. Diese Nervenbahnen sind mit sämtlichen Muskeln des Körpers verbunden und steuern die Bewegungen. Nerv und Muskel bilden eine funktionelle Einheit, so dass auch Muskelerkrankungen zur Neurologie gehören. Das vegetative Nervensystem regelt alle Körperfunktionen, die wir nicht bewusst steuern können, z.B. Verdauung und Herzschlag. Im Bereich des Kopfes finden sich die zwölf Hirnnerven, die direkt aus dem Gehirn ohne Verschaltung im Rückenmark austreten und fast ausschließlich den Kopfbereich ansteuern. Alle Sinnesorgane sind ebenfalls mit Nervenbahnen verbunden, so dass alle Sinneseindrücke über das Nervensystem zurück an das Gehirn gemeldet und dort verarbeitet.

Untersuchungsmethoden

Körperliche Untersuchung

Die wichtigste Untersuchungsmethode in der Neurologie ist die körperliche Untersuchung. Die detaillierte Untersuchung von Muskelkraft, Berührungs-, Schmerz- und Vibrationsempfinden, Koordination, Reflexen, Gangbild, der Sprache und des Sprechens ergibt ein genaues Bild der Symptomatik. Oft können Neurolog*innen anhand der geschilderten Beschwerden und der Untersuchungsbefunde bereits feststellen, wo genau die Schädigung im Gehirn oder im übrigen Nervensystem lokalisiert ist. So kann entweder schon direkt eine Diagnose gestellt oder eine notwendige Zusatzuntersuchung gezielt geplant werden. 

Neurophysiologische Untersuchungen

Um die Funktion von Nervensystemen direkt zu prüfen, werden neurophysiologische Untersuchungen eingesetzt. Die wichtigste Methode ist die Elektroneurographie. Durch kleine Stromimpulse, die auf periphere Nervenbahnen abgegeben werden, kann die Leitungsgeschwindigkeit und Durchgängigkeit von Nerven festgestellt und eine mögliche Schädigung lokalisiert werden. Ein Beispiel hierfür ist die Untersuchung des Medianus-Nervs im Bereich des Handgelenks bei Karpaltunnel-Syndrom. Muskelfasern können untersucht werden, in dem sehr dünne Nadeln in den Muskel gestochen werden, um die elektrische Aktivität der Muskelfasern abzuleiten. So können Muskelerkrankungen und bestimmte Formen von Nervenerkrankungen diagnostiziert werden. Bei den evozierten Potentialen werden durch wiederholte Reize Nervenbahnen von einem Sinnesorgan bis zur Hirnrinde untersucht, z.B. durch kleine Stromimpulse oder bestimmte optische Reize. Die Elektroenzephalographie (EEG) leitet die elektrische Aktivität des Gehirn mit Oberflächenelektroden ab, die auf die Kopfhaut geklebt werden. Auch wenn die so gewonnen Informationen nicht so genau wie andere Untersuchungen sind, spielt das EEG immer noch eine wichtige Rolle in der Behandlung von Epilepsien und globalen Hirnfunktionsstörungen (z.B. bei Bewusstseinsstörungen)

Nervenwasseruntersuchung

Das Nervenwasser (Liquor) wird in den Hirnkammern gebildet und umspült das Gehirn und das Rückenmark. Das Nervenwasser kann einfach und risikoarm im Bereich des unteren Rückens entnommen werden, indem eine Nadel zwischen den Wirbelkörpern hindurch in den Wirbelkanal eingeführt wird, ohne dass das Rückenmark geschädigt werden kann. Das Nervenwasser wird dann im Labor auf Entzündungen oder bestimmte Einweiße untersucht. Diese Untersuchung ist vor allem zum Ausschluss von Entzündungen am Nervensystem (z.B. Hirnhautentzündung oder Multiple Sklerose) oder von Abbauprozessen (z.B. Alzheimer-Demenz) erforderlich.

Ultraschall

In der Neurologie werden mittels Ultraschall die Blutgefäße untersucht, die das Gehirn mit Blut versorgen, um Engstellen und Gefäßverschlüsse festzustellen. Aber auch periphere Nerven können mit Ultraschall untersucht werden, z.B. bei Engpasssyndromen. Bei der Parkinson-Krankheit kommt es zu Veränderungen in den Stammganglien, die ebenfalls mit Ultraschall nachgewiesen werden und so bei der Einordnung von Symptomen helfen können. 

Computertomographie und Kernspintomographie

Das Gehirn und seine Strukturen können mit Hilfe von Röntgenstrahlen (Computertomographie) oder Magnetfeldern (Kernspintomographie) sichtbar gemacht werden. So kann die Ursache von Symptomen festgestellt werden und die richtige Behandlung auf den Weg gebracht werden.

Neurologie

Neurologische Erkrankungen

Hier finden Sie einen kurzen Überblick über die häufigsten und wichtigsten Krankheitsbilder der Neurologie.

Schlaganfall

Unter dem Überbegriff Schlaganfall werden Hirninfarkte durch Gefäßverschluss, Hirnblutungen und Blutungen auf die Hirnoberfläche (Subarachnoidalblutung) zusammengefasst. Ein Hirninfarkt entsteht, wenn ein Blutgefäß des Gehirns plötzlich verstopft ist und nicht mehr genug Sauerstoff in einen Bereich des Gehirns gelangt. Das Blutgerinnsel kann sich direkt in der Arterie bilden oder aus dem Herz dorthin gespült werden. Platzt ein Blutgefäß im Gehirn, kommt es zu einer Blutung in das Gehirngewebe und damit zu einer Schädigung der Hirnsubstanz. Typische Symptome eines Hirninfarktes oder einer Hirnblutung sind Halbseitenlähmung, Taubheitsgefühl auf einer Körperhälfte, Sehstörungen, Sprach- oder Sprechstörungen, manchmal auch Doppeltsehen. Bei der Subarachnoidalblutung platzt ein Blutgefäß auf der Hirnoberfläche, oft durch eine Gefäßaussackung (Aneurysma), so dass Blut auf die Hirnoberfläche austritt. Typische Symptome sind plötzlich auftretender stärkster Kopfschmerz und Bewusstseinsstörungen. Alle Formen des Schlaganfalls sind ein akuter medizinischer Notfall, der so schnell wie möglich in einem spezialisierten Krankenhaus behandelt werden muss. Daher sollte bei jedem Verdacht auf Schlaganfall unverzüglich der Rettungsdienst über den Notruf alarmiert werden. Mit jeder verstreichenden Minute sinkt die Chance, Hirngewebe durch einen schnelle Behandlung zu retten („time is brain“).  Die Behandlung erfolgt in der Regel auf einer speziellen Schlaganfallstation. Je nach Ursache kann versucht werden, ein Blutgerinnsel durch Medikamente aufzulösen oder per Katheter aus dem Blutgefäß zu entfernen.

Entzündungen des Gehirns und der Nerven

Wenn Bakterien oder Viren in das Gehirn eindringen, können sie eine Entzündung der Hirnhäute (Meningitis) oder eine Entzündung des Hirngewebes (Enzephalitis) verursachen. Eine Meningitis äußert sich häufig mit Kopfschmerzen und Fieber, eine Enzephalitis oft mit Schlaganfall-ähnlichen Symptomen und Fieber. Besonders gefürchtet ist die bakterielle Meningitis, welche eine lebensbedrohliche Erkrankung darstellt und unverzüglich in einem Krankenhaus, oft auf der Intensivstation, behandelt werden muss. Auch durch Autoimmunprozesse kann es zu Entzündungen am Gehirn oder an Nerven kommen. Hierbei bilden sich Antikörper, die eigene Nervenzellen angreifen. Ein typisches Beispiel ist hier die Multiple Sklerose. In den letzten Jahren wurden zahlreiche verwandte Erkrankungen mit spezifischen Antikörpern entdeckt und neue Behandlungsmöglichkeiten entwickelt, welche gezielt die Mechanismen der Erkrankungen beeinflussen. Wenn Antikörper die Hüllen der peripheren Nerven angreifen, kommt es zum Guillain-Barré-Syndrom, bei dem sich aufsteigende Lähmungen und Gefühlsstörungen entwickeln, welche oft viele Monate anhalten, bis sich die Nerven wieder erholt haben. Bei der Polyneuropathie werden die peripheren Nerven diffus geschädigt, häufig durch äußere Einflüsse wie ein Diabetes mellitus, übermäßigen Alkoholkonsum oder einen Vitaminmangel.

Neurodegenerative Erkrankungen

Bei den neurodegenerativen Erkrankungen (Hirnabbauerkrankungen) lagern sich über viele Jahre bestimmte Eiweißmoleküle im Gehirn ab und führen langsam, aber immer weiter voranschreitend zu einer Zerstörung von Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen. Typische Beispiele sind die Parkinson-Krankheit und ein großer Teil der Demenz-Erkrankungen. Bisher können diese Erkrankungen noch nicht geheilt werden, es stehen trotzdem zahlreiche Behandlungsansätze zu Verfügung. Für weitere Informationen lesen Sie den Artikel Gedächtnisstörungen und Demenz.

Epilepsie

Bei einem epileptischen Anfall kommt es zu einer rhythmischen und synchronisierten Aktivität einer großen Menge von Nervenzellen im Gehirn. Wenn das ganze Gehirn von der Aktivität erfasst wird, kommt es zum generalisierten epileptischen Anfall mit plötzlichem Bewusstseinsverlust und rhythmischen Zuckungen am ganzen Körper. Ist nur ein Teil des Gehirns betroffen, kommt es zu einem fokalen epileptischen Anfall mit Bewusstseinsveränderungen und/oder Zuckungen in einzelnen Regionen des Körpers. In der Regel endet ein epileptische Anfall von selbst nach wenigen Minuten. Wenn der Anfall nicht von selbst wieder aufhört, handelt es sich um einen Notfall, der sofort intensivmedizinisch behandelt werden muss. Prinzipiell kann jeder Mensch unter bestimmten Umständen einmalig einen epileptischen Anfall erleiden. Nur wenn dies öfter passiert, spricht man von Epilepsie. Epilepsien können genetische Faktoren haben oder Folge einer Hirnschädigung sein. In diesem Fall spricht man von struktureller Epilepsie. Zur Behandlung einer Epilepsie stehen heute zahlreiche gut wirksame Medikamente zu Verfügung.

Kopfschmerzen

Kopfschmerzen sind sehr häufig. Es werden 13 primäre und zahlreiche sekundäre Kopfschmerzformen unterschieden. Besonders häufig sind der Spannungskopfschmerz mit seinem drückenden Dauerschmerz und die Migräne mit eher einseitigem pulsierendem Kopfschmerz mit begleitender Übelkeit und Lichtempfindlichkeit. Die Behandlungen unterscheiden sich je nach gestellter Diagnose, so dass hier eine genaue Diagnose erforderlich ist. Außerdem müssen immer sekundäre Kopfschmerzen in Folge einer anderen Erkrankung des Gehirns ausgeschlossen werden. Treten Kopfschmerzen besonders häufig auf, kann bei bestimmten Kopfschmerzformen nicht nur die Behandlung einer akuten Attacke, sondern auch eine Kopfschmerzprophylaxe wichtig werden.

Periphere Nervenschädigungen

Wird ein Nerv in seinem Verlauf durch den Körper geschädigt, kommt es typischerweise hinter der Schädigung zu Beschwerden in der Versorgungsregion des Nervs, wie Kribbeln, Brennen, einschießenden Schmerzen, Taubheitsgefühl oder Muskelschwäche. Besonders häufig sind periphere Nervenschädigungen an anatomischen Engstellen, z.B. des Medianus-Nervs am Handgelenk  (Karpaltunnel-Syndrom) oder des Ulnaris-Nervs an der inneren Ellenbogenseite. Wenn Schonung und Entlastung nicht zu einer Besserung führen, müssen manchmal die Engstellen operativ beseitigt werden, um eine weitere Schädigung des Nervs zu verhindern. Bei der Gesichtsnervenlähmung (Fazialisparese) kommt es zu einer Schwellung des Gesichtsnervs in einem engen Knochenkanal, durch den er verläuft, oft durch einen viralen Infekt. In Folge dessen kommt es zu einer einseitigen Lähmung einer Gesichtshälfte mit gestörtem Augenschluss, welche nicht mit einem Schlaganfall verwechselt werden darf. In den meisten Fällen bildet sich die Gesichtsnervenlähmung nach wenigen Wochen wieder vollständig zurück.

Muskelerkrankungen

Muskelschwäche und Muskelschmerzen sind die typischen Symptome von Muskelerkrankungen und sollten immer ausführlich untersucht und abgeklärt werden. Als Ursache kommen eine ganze Fülle von Krankheiten in Frage, welche in Erkrankungen der Muskelzellen selbst (z.B. Myositis und Muskeldystrophie) und in Störungen der Impulsübertragung zwischen Nervenzelle und Muskelzelle (z.B. Myasthenia gravis) unterschieden werden können.

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